Ein Schlucht-Spaziergang, zwei Blickwinkel
Unterwegs durch das Allgäuer Naturwunder und seine Geschichte
Unter schwierigsten Bedingungen bauten vor über 100 Jahren 20 Mann in 230 Tagen den Klammweg. Verbraucht wurden 50 Kilogramm Dynamit, 4.160 Meter Zündschnur und 23 Tonnen Eisen. Über Jahre hinweg
fanden Instandhaltungsarbeiten statt – von Hand. Einer, der damals dabei war, ist 1. Vorstand des Breitachklammvereins, Franz Rietzler. „50 Kilo Säck voll Zement hat man da auf d‘ Buckel gnomme und dann isch ma marschiert“, erzählt der 74-Jährige. Auf einen Spaziergang durch eine der imposantesten Schluchten Mitteleuropas mit ihm, seinem Hund „Elfie“ und Dominik Fritz, Betriebsleiter der Genossenschaft.
Diese setzt sich für den Erhalt und die Sicherheit in der Schlucht und für den Betrieb ein. Bis zu drei Mal am Tag beurteilt Franz Rietzler im Winter, ob die Klamm für Besucher aufgesperrt werden darf oder nicht, weil die alpinen Bedingungen sich vor allem im Winter schnell ändern und Gefahren bergen. „Er erkennt jeden Kieselstein, der anders liegt“, sagt Dominik Fritz. Wir passieren das Drehkreuz. Franz Rietzler zeigt auf einen umgestürzten Baum weit oben am Hang rechtsseitig. „Der ist weiter runter gerutscht“, erkennt er. Außerdem deutet der Jäger auf Spuren von Wild, das an einer seichten Stelle den Fluss gequert hat.
Und er erzählt von der Geschichte der berühmten Schlucht und ihrer Erschließung. Im Jahr 1904 wurde die Genossenschaft Breitachklammverein gegründet. Das war aus finanzieller Sicht nötig, denn die Klamm sollte erschlossen werden. Damals fanden sich 44
Gründungsgenossen, die Anteile kauften. Jene waren für damalige Verhältnisse mit je 500 Goldmark recht teuer. Den Anfang machte übrigens Pfarrer Schiebel, der bis heute den Gast gleich am ersten
Tunnel in der Breitachklamm als Relief begrüßt. Er kam mit 29 Jahren nach Tiefenbach und kümmerte sich nicht nur um seine Aufgabe der Glaubensvermittlung, sondern auch um den Tourismus. Er trieb auch
die Genossenschaftsgründung voran, als er sah, was sich hinter dieser Natur in Tiefenbach verbirgt. Sein damaliges Urteil liest Franz Rietzler aus einer alten Schrift vor: „Die Klamm muss erschlossen werden – koste es, was es wolle.“
Es folgten Verhandlungen mit denen an der Klamm angrenzenden Grundstücksbesitzern, 22 Eigentümer aus Tiefenbach und Oberstdorf mussten dem Bau eines Weges zustimmen. Die Meinungen waren geteilt. Auch die Aufsichtsbehörde des Königlichen Bezirksamtes lehnte den Wegebau zunächst ab, weil das finanzielle Risiko zu hoch erschien.
Pfarrer Schiebel jedoch und seine Mitstreiter ließen sich nicht entmutigen selbst eine Genossenschaft zu gründen.
Im Anschluss machte er eine Firma aus dem italienischen Trentin ausfindig, die sich der Herausforderung stellte. Sie erklärte sich bereit, für 16.302 Mark den Weg ohne Geländer zu bauen. Den Kies dafür zog man mit Kübeln aus der Breitach, das Wasser zum Betonieren ebenso. Von Hand wurde der Beton gemischt. An jene Zeit erinnert sich auch Franz Rietzler noch. Er stammte aus einer Landwirtschaftfamilie. Sein Vater war als technischer Leiter bei der Breitachklamm engagiert und später
im Aufsichtsrat. 40 Jahre lang.
„Wenn wir im Frühjahr weniger Arbeit ghabt hent, dann sind wir in d’Schlucht zum Schaffe“, erzählt Rietzler. Da hat es so eine Truhe
gegeben, mit Griffen vorn und hinten. Wie eine Art Schubkarre, mit der das Material getragen wurde. Regelmäßig war das von Nöten, weil es immer wieder vorkam, dass das Wasser den Weg auswusch.
Die Brücken wurden zunächst oft aus Holz gefertigt und später mit Eisenträgern stabilisiert. Allerdings gab es damals kaum statische Berechnungen von den Bauwerken. „Damals hat es geheißen, das brauchts gar it“, sagt Rietzler. Heute ist das anders.
„Die Sicherheit ist unser wichtigstes Gebot“, so Dominik Fritz. Deshalb werden alle 32 Brücken regelmäßig untersucht und geprüft. In den letzten Jahren wurden 15 von ihnen grundlegend saniert. Dafür wurden eine Bau-Firma beauftragt, ein Ingenieurbüro und verschiedene Statiker sowie Geologen. „Mittlerweile sind wir auf einem sehr guten technischen Stand und haben die dringendsten Aufgeben angepackt“, sagt Dominik
Fritz. „Man könnte theoretisch mit Lastwagen über die Fußgängerbrücke fahren“, sagt Franz Rietzler augenzwinkernd und ergänzt:
„Eigentlich überdimensioniert, aber das sind die Vorschriften.“ Einerseits wird einkalkuliert, dass bei schönem Wetter sonntags um 11 Uhr, auf einer 15 Meter langen Brücke zu Hochzeiten ungefähr 20 Menschen stehen. Andererseits ist der Weg den Naturgewalten ausgesetzt. „Das Problem ist, dass es für das, was wir haben, kaum Normen gibt,“ erklärt Dominik Fritz. Man orientiere sich da, obwohl es sich um alpines Gelände handelt, teilweise am Straßenbau, und der hat andere Auflagen. Was hohe Kosten mit sich bringt.
Die ursprüngliche Arbeit von Hand erleichterte sich später durch Raupenfahrzeuge. Wegen diesen wurden die meisten Stufen
entfernt. So ist der Weg stellenweise steiler geworden, es gibt aber zum Beispiel die Möglichkeit, im Winter mit Maschinen zu räumen und zu streuen. Diese nur 80 Zentimeter breiten sogenannten „Dumper“ fahren auch für kleinere Arbeiten mit Beton oder Kies beladen den Schluchtweg hinauf und passen durch den nicht einmal mannshohen Tunnel. Die großen Arbeiten aber erledigt inzwischen fast alle der Hubschrauber. „Wir haben da Gott sei dank zwei sehr gute Piloten, die absolute Profis sind. Die haben zum Teil das Material am 100 Meter langen Seil hängen“, sagt Rietzler und erklärt: „Der Heli kostet zwar mehr Geld, wenn man aber überlegt, was der innerhalb einer halben Stunde reinbringt, rentiert sich das. Das schaffen zwei Mann an einem ganzen Tag nicht.“ Gerade wenn es einst darum ging, Eisenträger am Weg zu befestigen, war das mit waghalsigen Aktionen verbunden. Wenn acht Meter lange Teile, um Kurven manövriert werden mussten. „Das war damals wirklich a
Schinderei“, sagt Rietzler. Der Hubschrauber bringt heute alles an die richtige Stelle, was den Arbeitern Sicherheit gewährt.
Der größte Felssturz in der Klamm war übrigens 1995. Er schloss den oberen Teil der Schlucht fast vollständig ab und löste einen Stausee aus. Am oberen Kassenhäuschen begrub er eine Toilette unter sich, die es heute nicht mehr gibt. Damals staute sich das Wasser auf und flutete danach die Klamm. Es stieg zum Teil bis zu sechs Meter über den
Weg an. Um die Menschen vor solch unvorhergesehenen Naturgewalten zu schützen, ist eine stetige Beobachtung der Verhältnisse wichtig. Eiszapfen seien laut Franz Rietzler so eine Sache im Winter. Bis zu 20 Meter lang hängen sie zwischen Eisvorhängen vom Fels – und machen die Breitachklamm zum mystischen Erlebnis. Das findet wohl auch
Dackeldame Elfie, die geduldig stehenbleibt, wenn ihr Herrchen Spuren liest.
Quelle: Allgäuer Anzeigeblatt (Isabell Schmid) anlässlich "40 Jahre extra"